Violette Kachel

Feministische Außenpolitik

Bei der politischen Diskussionsreihe "Lila Sofa" widmeten wir uns dem Themenfeld der feministischen Außenpolitik. 

In sicherheitspolitischen Prozessen werden Frauen und andere marginalisierte Gruppen unzureichend beteiligt, dabei sind Krieg, Flucht, Krise und Konflikt keine geschlechtsneutralen Kategorien. 

Gemeinsam diskutiereten wir die Fragen: Was ist eigentlich feministische Außenpolitik? Warum ist eine feministische Kritik an der aktuellen Außenpolitik und Sicherheitspolitik notwendig? Wo kann feministische Außenpolitik ansetzen? 

In diesem Zuge ist ein Kommentar und eine Buchbesprechung entstanden, welche im Magazin der Evangelischen Frauen in Hessen und Nassau e.V. erschienen sind.

Ziviler Aktivismus und Diplomatie - Feministische Außenpolitik

von Mechthild Nauck, EVA Frankfurt

Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind, sagte einst Albert Einstein. Angesichts des niederschmetternden Versagens der vor allem militärischen Mission des Westens in Afghanistan, der vernichtenden Kriegsführung Putins in der Ukraine und globaler Herausforderungen wie Hungersnöte, die Corona Pandemie und den menschengemachten Klimawandel ist zumindest sicher: Wir haben Probleme, weltweit. Ein Ost-West-Denken wird diese globalen Krisen ebenso wenig lösen, wie das Verharren in Dichotomien von Dominanz und Unterordnung, Sieger*innen und Verlierer*innen. Im Krieg in der Ukraine haben bereits alle verloren.

Um auf diese Krisen wirksam zu reagieren, setzt Außenministerin Annalena Baerbock explizit auf einen ganzheitlichen Sicherheitsansatz, der die menschliche Sicherheit in den Mittelpunkt stellt. „Genau darum geht es bei feministischer Außenpolitik“, erklärt Baerbock im April in ihrer Rede beim Feminist Foreign Policy Summit. Feministische Außenpolitik (FAP) will nichts Geringeres, als alten Denkmustern der internationalen Politik andere Sichtweisen entgegenzusetzen, und begründet damit einen Paradigmenwechsel: Statt auf staatliche Sicherheit und militärische Stärke zu setzten, orientiert sich die FAP am UN-Konzept der menschlichen Sicherheit. Prinzipien der sogenannten Realpolitik von „Gewalt, Macht und Hegemonie“, deren Vertreter*innen wie z.B. Henry Kissinger eine „Diplomatie ohne Androhung von Gewalt“ für undenkbar halten, kontern Vertreter*innen der FAP mit den „drei R“ – Rechte, Repräsentation und Ressourcen. Sie zielen damit auf eine menschenrechtsbasierte und geschlechtergerechte Ordnung, dem schwedischen Beispiel folgend. Die ehemalige schwedische Außenministerin Margot Wallström prägte 2014 als erste den Begriff der FAP und markierte so ihren Fokus auf Frauen*, auf deren Rechte und Sichtbarkeit auch im Kontext außenpolitischer Diplomatie und Beschlussfassung. Ihre Grundlage war die im Jahr 2000 beschlossene UN-Resolution 1325 „Frauen, Frieden und Sicherheit“.

FAP knüpft an alte Kämpfe von Feminist*innen an und wird von Aktivist*innen getragen, die die Ursachen von Konflikten und Gewalt analysierten. Den ersten Internationalen Frauenkongress in Den Haag 1915 beschreibt Kristina Lunz in ihrem Buch "Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch" als den Moment, in dem das Fundament für Feministische Außenpolitik gelegt wurde: Mitten im 1. Weltkrieg erarbeiteten über 1000 Frauen aus 12 Ländern gemeinsam eine Resolution mit 20 konkreten Forderungen, um den Konflikt zu beenden, Abrüstung zu erwirken und ein neues internationales Rechtssystem zu entwickeln, um künftige Kriege zu verhindern. Gegen den Zeitgeist der Kriegseuphorie und Feindrhetorik waren die Aktivist*innen solidarisch und visionär - und ihrer Zeit in vielen Punkten um Jahrzehnte voraus. FAP verfolgt eine langfristige Strategie. Sie ist ständig mit Widersprüchen konfrontiert, da die Ordnung der Welt weiterhin patriarchal strukturiert ist. Und FAP fordert heraus - Schweden hatte mit mehreren Ländern Konflikte auszutragen. Inzwischen formulieren Kanada, Mexiko, Luxemburg, Libyen, Frankreich, Spanien und nun auch Deutschland ihre Außenpolitik ebenfalls normativ feministisch. Deutschland hat den „drei R“ ein übergeordnetes „D“ hinzugefügt: „D für Diversität. Denn wir möchten mit unserer Politik nicht nur Frauen voranbringen. Wir wollen gleiche Rechte, gleiche Repräsentation und angemessene Ressourcen für alle Menschen, die marginalisiert sind, sei es aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Herkunft, ihrer Religion oder ihrer sexuellen Orientierung. Eine feministische Außenpolitik möchte nicht ausgrenzen, sondern einbinden. Es sollen nicht weniger Stimmen gehört werden, sondern MEHR.“ Wie realisieren sich diese Erklärungen feministischer Außenpolitik inhaltlich und finanziell? Damit das Bekenntnis zur FAP Wirkung erzielt, braucht es hierzu konkrete Antworten. FAP kommt aus der Zivilgesellschaft und braucht deren kritische Begleitung. Es braucht den Druck von der Straße und die Perspektiven der Vielen. Mitten im Desaster von Krieg, Zerstörung, Hunger und klimabedingten Katastrophen sind offene Debatten dringend erforderlich. Nur so können visionäre Ideen für eine neue menschenrechtsbasierte Friedens- und Sicherheitsordnung entstehen, die auf globale Kooperation und Teilhabe weltweit setzt.

Die alte Friedens- und Sicherheitsarchitektur ist gescheitert. Derzeit scheint das Recht des (militärisch) Stärkeren die Welt zu bedrohen. Doch sollte eine feministische Außenpolitik selbstkritisch auch die Ausgrenzung weiter Teile der Weltbevölkerung durch die ökonomische Stärke und vielfältigen Machtinteressen des Westens transparent machen, und im Rahmen einer neuen regelbasierten Ordnung zur Disposition stellen. Denn es stimmt ja, was Sie sagen, Frau Baerbock: „Für mich gehört auch das ganz maßgeblich zu einer feministischen Außenpolitik: die Wahrheit nicht für sich in Anspruch zu nehmen, sondern zuzuhören. Und wenn weite Teile der Weltbevölkerung ausgegrenzt sind, können wir Frieden und Sicherheit nicht dauerhaft erreichen.“

Dieser Artikel ist in der Mitgliederzeitung der Evangelischen Frauen in Hessen und Nassau e.V. erschienen. Die Zeitung "Frieden braucht Frauen" ist online verfügbar: Link

Buchrezension

„Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch. Wie globale Krisen gelöst werden müssen“ von Kristina Lunz

Das Buch „Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch. Wie globale Krisen gelöst werden müssen“ von Kristina Lunz ist in diesem Jahr erschienen. Die Aktualität dieses Buches zeigt anhand der Ereignisse in Afghanistan und in der Ukraine die Relevanz und Dringlichkeit eines Paradigmenwechsels innerhalb der Diplomatie, der Sicherheits- und Außenpolitik.

Doch wie kann ein grundlegendes Umdenken gelingen? Wie können marginalisierte Stimmen an Repräsentation und Teilhalbe innerhalb politischen Verhandlungen und Entscheidungen erhalten? Wie können globale strukturelle Ungleichheit beseitigt und Lebensbedingungen verbessert werden? Wie lassen sich große Herausforderungen wie das Abwenden von Klimakatastrophen und globalen Krisen bewerkstelligen? Die Antwort der Autorin lautet: Feministische Außenpolitik.

Kristina Lunz ist Mitbegründerin von Centre for Feminist Foreign Policy. Mit ihrem Buch setzt sie sich intensiv mit Diplomatie, Sicherheitspolitik und Außenpolitik auseinander. Beginnend mit ihrer persönlichen Erfahrung, biografischen Reflexionen und ersten Berührungspunkten mit dem Thema Feminismus, verknüpft sie feministische Theorien mit juristischen und politikwissenschaftlichen Ansätzen und setzt diese in einen historischen und globalen Zusammenhang. Kristina Lunz zeigt auf, dass es eine grundlegende Neugestaltung von Außenpolitik braucht und beschreibt einen ganzheitlichen, feministischen Ansatz, welcher Basis sein kann, Krisen und globale Konflikte neu zu denken und diesen entgegenzuwirken. Anhand von Beispielen außenpolitischer Handlungsfelder bekräftigt sie ihre Argumentation und verdeutlicht die Aktualität für ein Umdenken innerhalb der Außen- und Sicherheitspolitik. Ihr Anliegen ist es, dass Chancengerechtigkeit und Gleichberechtigung in politischen Strukturen etabliert und marginalisierte Perspektiven sichtbar gemacht werden. Jedes Kapitel endet mit einer Vorstellung einer Expert*in oder Aktivist*in, die Einblicke in ihre Arbeit geben. So ist das Buch nicht nur eine historische Aufarbeitung der Thematik, sondern zugleich eine Ermutigung, sich mit den Themenfeldern intensiver auseinanderzusetzen.

Die Autorin macht deutlich, dass die Strukturen internationaler Politik androzentrisch sind und seit Jahrhunderten Handlungen und Entscheidungen von Außen- und Sicherheitspolitik beeinflussen. Das Aufkommen aktueller Krisen, Kriege und Konflikte zeigt jedoch, dass diese patriarchale Gesellschaftsform gescheitert ist. Die Außenpolitik in ihrer aktuellen Form kann keine zukünftsfähigen und gerechten Lösungen formulieren, solange die Unterdrückung von Frauen und anderen marginalisierten Gruppen, Menschenrechtsverletzungen und bestehende Ungerechtigkeiten weiterhin strukturell reproduziert werden. Feministische Außenpolitik muss diese Strukturen aufbrechen und inklusiv, intersektional und antirassistisch handeln. Die Erfahrungen von Frauen und marginalisierten Gruppen sollen gehört und ihre Bedürfnisse repräsentiert, Diversität und Chancengerechtigkeit gefördert werden. Feministische Außenpolitik zielt darauf ab, die Perspektiven von Frauen, LGBTQI*, Schwarze Perspektiven, und Perspektiven weiterer marginalisierter Gruppen sichtbar zu machen und ihre Lebensrealitäten und Sichtweisen in politische Handlungen einzubeziehen.

Ein Paradigmenwechsel ist die einzige Möglichkeit, weiteren Krisen entgegenzuwirken. Die Forderung nach einer feministischen Außenpolitik ist eine klare Antwort und ein Gegenmodell zu der patriarchalen Machtverteilung innerhalb der Politik. Feministische Außenpolitik zielt, so die Autorin, auf Vermittlung und Kommunikation, sie setzt Machtinteressen Menschenrechte entgegen, fokussiert menschliche Sicherheit statt die Sicherheit von Staaten und zeigt deutlich, dass Krieg und Krise und deren Auswirkungen nicht geschlechtsneutral sind. Hier setzt ein weiteres Kernprinzip feministischer Außenpolitik an: Die bestehenden Machtdynamiken und Gewaltverhältnisse werden hinterfragt, benannt und aufgebrochen. Denn die Ursachen von globalen Krisen sollen verstärkt in den Blick genommen werden, um gegen diese angehen zu können. Politische Handlungsfelder von feministischer Außenpolitik umfassen somit auch zentrale Fragen nach Frieden, Klimagerechtigkeit, Demilitarisierung, globale Gesundheit und sozialer Gerechtigkeit. Das Buch weist stets zeithistorische Komponenten auf, verläuft entlang einer historischen Einbettung von Ansätzen feministischer Außenpolitik, kombiniert diese mit zentralen aktuellen Herausforderungen und zeigt deutliche Lösungsansätze, wie Politik in Zukunft gestaltet werden kann und muss, um globale und sozialpolitische Themen umfassend lösen zu können.

Eine Stärke des Buches ist der Fokus auf die Zivilgesellschaft. Denn Kristina Lunz sieht vor allem in der demokratischen Zivilgesellschaft eine Chance für Bewegung und Veränderung. Am Beispiel feministischer Kämpfe verdeutlicht sie, dass zivilgesellschaftliches Engagement und Aktivismus dazu beitragen können, politische Handlungsprozesse mitzugestalten und gleichberechtigte Ansätze zu entwickeln und zu etablieren. In dieser liegt auch ein Motor für die Neuorientierung von Außen- und Sicherheitspolitik. Das Buch von Kristina Lunz ist ein Anfang, sich dieser Dynamiken bewusst zu werden und eine klare Leseempfehlung, denn: Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch.

Kristina Lunz: Die Zukunft der Aussenpolitik ist feministisch. Wie globale Krisen gelöst werden müssen. Econ, 22,99 Euro.