#GewaltStoppen

Orange Days 2023

Vom 25. November bis zum 10. Dezember findet weltweit die Kampagne “Orange The World” statt. Während dieser 16 Tage wird vermehrt darauf aufmerksam gemacht wie viel Gewalt Frauen* und Mädchen* auch heute noch angetan wird. Überall auf der Welt, auch in Deutschland, auch in Frankfurt. Und es wird dazu aufgerufen diese Gewalt zu stoppen.

Der 25. November ist der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen* und Mädchen*. Der 10. Dezember ist der Internationale Tag der Menschenrechte.

Die Kampagne wurde 1991 von UN Women initiiert. Die Farbe Orange steht dabei als Symbol für Hoffnung und Lebenskraft.

Während der Orange Days wird sich das EVA mit Femiziden - also der Tötung von Frauen* und Mädchen* - in Deutschland auseinandersetzen. Online werden wir dazu informieren und uns mit verschiedenen Fragen beschäftigen.

  • Was bedeutet der Begriff “Femizid” genau und warum ist dieses Wording so wichtig?

  • Welche Statistiken gibt es zu Femiziden in Deutschland?

  • Was verbirgt sich hinter den Zahlen?

  • Wie wird in der Öffentlichkeit über Femizide gesprochen?

  • Wo gibt es Hilfe für Betroffene von Gewalt?

Anlässlich der Orange Days und der 16 Aktivismus gegen die Gewalt an Frauen* und Mädchen* sprechen Maimouna Jah vom Frauenbegegnungszentrum EVA und Valeria Picozzi vom Frauennotruf Frankfurt darüber: Wieso, Weshalb und Warum die Orange Days so wichtig sind und was eigentlich die Arbeit des Frauennotrufs ist.

 

Jah: Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben mit uns ein Interview zu machen, stellen sich doch gerne kurz vor.

Picozzi: Sehr gerne und vielen Dank für die Anfrage. Mein Name ist Valeria Picozzi und ich arbeite in hauptberuflich bei der Beratungsstelle Frauennotruf Frankfurt. Ich bin eine von sieben Mitarbeiterinnen und meine Haupttätigkeit ist die telefonische und persönliche Beratung von Frauen*, die unterschiedliche Formen von Gewalt erlebt haben. Daneben ist jede von uns für verschiedene Projekte zuständig. Ich betreue zum Beispiel ein Projekt für Frauen* und Mädchen* mit Behinderungen: Es geht darum, den Zugang zum Unterstützungssystem zu verbessern. Soweit zu meiner Person.

Jah: Was verbinden Sie und Ihre Einrichtung mit Orange Days und warum sind sie so wichtig?

Picozzi: Zum einen freuen wir uns, dass wir gemeinsam mit allen Frankfurter Institutionen etwas auf die Beine stellen können. Die Orange Days sind für uns super wichtig, weil sie auf die Gewalt gegen Frauen* aufmerksam und die Gewalt sichtbar machen. Es gibt eine weltweite Solidarität, in diesem Rahmen kann auch über Hilfen informiert werden. Das versuchen wir auch mit unserer Öffentlichkeitsarbeit zu erreichen. Wenn es einen Kontext gibt, in dem solche Themen in die Öffentlichkeit getragen werden können, umso besser. Frauen können erfahren, dass sie nicht alleine sind; Themen wie Gewalt werden aus der Tabuzone geholt; Themen wie Scham und Schuld werden offen angesprochen. Ich glaube, dass es mit Aktionen wie den Orange Days möglich ist, auf immer noch bestehende patriarchale Strukturen aufmerksam zu machen und für verschiedene Formen von Sexismus und Gewalt gegen Frauen* zu sensibilisieren.

Jah: Gibt es aus Sicht des Frauennotruf eine Zunahme an Femiziden in den letzten Jahren?

Picozzi: Das ist für uns schwer zu sagen: wir bekommen das Thema natürlich auch durch den wachsenden gesellschaftlichen Fokus mehr mit; statistisch kann ich nur auf die Zahlen des BKA zurückgreifen, eben dass jeden Tag ein Tötungsversuch stattfindet und jeden 3. Tag eine Frau ermordet wird. Aber das Problem bei Femiziden ist, dass es keine einheitliche Definition, keinen Straftatbestand gibt; außerdem werden die Motive oder Hintergründe der Täter*innen kaum oder gar nicht erfasst, das heißt auch Prävention kann nicht oder nur schwer stattfinden.

Jah: Welche Frauengruppen sind besonders stark betroffen?

Picozzi: Auch hier können wir als Beratungsstelle explizit wenig sagen. Aus unserer Erfahrung wissen wir aber, dass Gewalt gegen Frauen* immer patriarchale Denkmuster und Denkstrukturen zugrunde liegen. Das heißt, ein Femizid ist der extremste und brutalste Ausgang im Gewaltkontinuum gegen Frauen* und was dem zugrunde liegt ist: Frauen* seien weniger wert. Man kann also davon ausgehen, dass es Frauen* sind, die ihren eigenen Weg gehen, ihre eigenen Entscheidungen treffen wollen und dies nicht akzeptiert wird. Es sind Frauen*, die sich aus den Gewaltstrukturen befreien wollen.

Jah: Wie fängt man die „Opfer“ von Femiziden auf oder wie kann man „Opfer“ von Gewalt auffangen?

Picozzi: Vorab: Wir versuchen den Begriff "Opfer" nicht zu verwenden, weil er Frauen* darauf reduziert. Sie sind „Opfer“ in der Gewaltsituation, aber darüber hinaus sind sie viel mehr. Vor allem haben sie viele Stärken und Ressourcen. Mit dem Begriff „Opfer“ gehen auch Vorstellungen einher, wie sich ein typisches "Opfer" zu verhalten hat, die in der Realität nicht zutreffen. Jede Frau* reagiert anders auf einen Übergriff und hat tatsächlich sehr viel Kraft und Stärke, um daraus wieder herauszukommen. Das nur grob zum Opferbegriff.

Jah: Wie fängt man betroffene Frauen* auf?

Picozzi: Wir glauben, dass Reden hilft. Das heißt, einen Ort zu haben, wo man über das Erlebte sprechen kann, ohne verurteilt zu werden; einen Ort, wo man mit dem Erlebten nicht mehr alleine ist. Außerdem eine Stelle zu haben, die ohne eigene Interessen umfassend informiert: Welche Hilfen gibt es? Welche Rechte haben Frauen? Wie kann ich meine eigenen Ressourcen nutzen? Für uns steht die Autonomie der Frau* im Mittelpunkt, wir nehmen sie ernst, wir benennen ganz klar, wer Schuld hat und versuchen dann gemeinsam mit der Frau* zu überlegen, welche Hilfsangebote adäquat sind. Zum Beispiel: Braucht sie medizinische Versorgung, wie kann Schutz und Sicherheit hergestellt werden, welche therapeutischen Hilfen gibt es?

Jah: Wie tritt man in Beziehung mit den Betroffenen?

Picozzi: Die Beratungsstelle wird in der Regel von Frauen* aufgesucht, die bereits ein eigenes Anliegen haben. Wir nehmen sie ernst, hören zu und bieten Unterstützungsmöglichkeiten an, das ist unsere Art der Beratung. Gleichzeitig auch durch Öffentlichkeitsarbeit: Wir versuchen, möglichst breit an verschiedenen Orten zu signalisieren: wir sind da und hier ist ein Ort, wo über die erlebte Gewalt gesprochen werden kann. Und dann erleichtern wir den Zugang auch dadurch, dass wir Anonymität, Vertraulichkeit und Freiwilligkeit garantieren.

Jah: Mit welcher Motivation und Haltung macht ihr eure Arbeit?

Picozzi: Ein Grundsatz unserer Arbeit ist, dass Gewalt gegen Frauen* und geschlechtsspezifische Gewalt kein individuelles Problem ist. Es ist ein gesellschaftliches Problem und wir versuchen dies auch in den Beratungssituationen zu berücksichtigen. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Herstellung von Schutz und Sicherheit für die Frauen*. Unser Beratungsansatz beinhaltet weiterhin keine Festschreibung auf den Opferstatus und damit einhergehend eine Einschränkung der Ohnmachtserfahrungen. Besonders wichtig ist uns die Stärkung der Selbstwirksamkeit und Autonomie der Frauen*: Was will die Frau*? Was braucht sie, um Entscheidungen zu treffen, was braucht sie, um ihr Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen? Das ist unsere Haltung.

Jah: Wie unterstützt ihr die betroffen Frauen* wieder in die Kraft zu kommen und vertrauen in ihre Selbstwirksamkeit zu haben?

Picozzi: In den Beratungssituationen versuchen wir immer, die eigenen Ressourcen der Frauen* zu reaktivieren: Zum einen haben die Frauen*, die bei uns Hilfe suchen, schon einen großen Schritt gemacht, das ist schon sehr stark. Zum anderen baut jeder Mensch im Laufe seines Lebens unterschiedliche Ressourcen auf. Wir reflektieren mit den Frauen*: Was hat Ihnen schon einmal geholfen? Wie sind Sie mit anderen Situationen umgegangen? Dann geht es darum, diese Ressourcen sichtbar zu machen, sie wertzuschätzen und zu stärken. Zum Beispiel, indem klar formuliert wird: Was Sie bisher geleistet haben, ist unglaublich stark. Es ist ganz wichtig, manchen Frauen* bewusst zu machen, dass man Grenzen setzen kann, dass man sich selbst gut im Blick haben muss, um für sich selbst sorgen zu können. Und dann ist etwas, was sehr viel Kraft geben kann, die Frauen* zu entlasten, indem man ganz klar die Schuld beim Täter sieht und das auch so benennt. Ich würde sagen, das sind erst mal die wichtigsten Dinge. Zu unserer Haltung möchte ich noch sagen, dass wir nie etwas über die Köpfe der Frauen* hinweg machen. Alles, was wir tun, ist mit den Frauen* abgesprochen. Wenn wir etwas für notwendig halten, dann besprechen wir das mit ihr. Ansonsten liegt alles wirklich in der Hand der Frau*.

Jah: Gibt es eine Zunahme an Gewalt gegen Frauen* aufgrund ihre sexuellen Orientierung oder Transfeindlichkeit?

Picozzi: Es ist auf jeden Fall ein Thema, deshalb heißen wir ausnahmslos alle Menschen, die sich als Frauen* identifizieren, hier willkommen. Unsere Absprache ist: Wenn es Themen sind, die uns betreffen, dann beraten wir alle gleichermaßen. Wenn es Themen sind, die mehr Wissen und eine speziellere Beratung zu queerfeindlichen Themen erfordern, dann verweisen wir weiter. Damit wir sicher sein können, dass das gut aufgefangen wird.

Jah: Welche Ressourcen mobilisieren die Frauen um sich zu empowern?

Picozzi: Oft ist es der Blick auf sich selbst und diese Erkenntnis: Jetzt reicht's! Und da hilft wirklich das Wissen um die eigenen Rechte und um Unterstützungsangebote. Wenn es gelingt, sich von der Scham, die Gewalt oft begleitet, zu befreien, kann auch das soziale Umfeld eine enorme Ressource sein. Nahe Bezugspersonen*, Freund*innen und/oder Verwandte reagieren meist empowernd und unterstützend.

Jah: Vielen Dank für dieses wirklich spannende Interview und die Beantwortung der Fragen.

Picozzi: Sehr gerne. Ich hoffe ich konnte alle Fragen verständlich beantworten.

! Trigger Warnung: Gewalt, Mord

Die wohl am stärksten verbreitete Form geschlechtsspezifischer Gewalt ist partnerschaftliche Gewalt: allein vergangenes Jahr litten weltweit 243 Millionen Frauen und Mädchen unter Partnerschaftsgewalt.

Andere Formen von geschlechtsspezifischer Gewalt sind subtilere Formen wie Demütigungen, Beleidigungen und Einschüchterungen zu sexualisierten Belästigungen und Übergriffen (im Alltag und am Arbeitsplatz), Gewalt in der Geburtshilfe, Schlägen, Vergewaltigungen, Zwangsheiraten, bis hin zu Genitalverstümmelung, Frauenhandel und Mord.
Auch digitale Gewalt weitet sich immer mehr aus. Bei digitaler Gewalt greifen Täter und Täterinnen im Internet an - per Chat, E-Mail oder in sozialen Netzwerken. Der englische Begriff "to stalk" kommt aus der Jagd und bedeutet so viel wie anschleichen oder anpirschen. Stalking bezeichnet das intensive und andauernde Nachstellen, Belästigen und Bedrohen der ausgewählten Person.
Mobbing ist fortgesetzte Gewalt einer Person oder Gruppe gegenüber einer anderen Person.

Quellen:

unwomen.de/gewalt-gegen-frauen-beenden/

iris.who.int/bitstream/handle/10665/77421/WHO_RHR_12.38_eng.pdf;jsessionid=C18C28436FD70F5DC55EE4D4C39167D6

Im Rahmen der Orange Days wird Anastasia Gettikh mit uns Meditation in Bewegung machen. Ihr Ansatz von Meditation umfasst Aktivität und Beobachtung. Ein wichtiger Aspekt ist dabei Embodyment, die Aufmerksamkeit für den eigenen Körper, die Verbindung von Körper, Denken, Bewusstsein und Seele.

Die Orange Days als weltweite Kampagne gegen Gewalt an Mädchen und Frauen* sind einmal mehr Anlass, sich Raum zu nehmen, laut zu werden und Empowerment zu bekommen.

Teilnahme in Präsenz und digital möglich.

Datum / Ort / Zeit: 01.12.23, EVA, Saalgasse 15, Meditationsraum, 18.00 – 19.00 Uhr und online

Kosten: Beitrag nach Selbsteinschätzung

Leitung: Anastasia Gettikh

Anmeldung: Bis donnerstags vorher unter 069 / 920708-0 oder online unter www.eva-frauenzentrum.de