Jah: Wie unterstützt ihr die betroffen Frauen* wieder in die Kraft zu kommen und vertrauen in ihre Selbstwirksamkeit zu haben?
Picozzi: In den Beratungssituationen versuchen wir immer, die eigenen Ressourcen der Frauen* zu reaktivieren: Zum einen haben die Frauen*, die bei uns Hilfe suchen, schon einen großen Schritt gemacht, das ist schon sehr stark. Zum anderen baut jeder Mensch im Laufe seines Lebens unterschiedliche Ressourcen auf. Wir reflektieren mit den Frauen*: Was hat Ihnen schon einmal geholfen? Wie sind Sie mit anderen Situationen umgegangen? Dann geht es darum, diese Ressourcen sichtbar zu machen, sie wertzuschätzen und zu stärken. Zum Beispiel, indem klar formuliert wird: Was Sie bisher geleistet haben, ist unglaublich stark. Es ist ganz wichtig, manchen Frauen* bewusst zu machen, dass man Grenzen setzen kann, dass man sich selbst gut im Blick haben muss, um für sich selbst sorgen zu können. Und dann ist etwas, was sehr viel Kraft geben kann, die Frauen* zu entlasten, indem man ganz klar die Schuld beim Täter sieht und das auch so benennt. Ich würde sagen, das sind erst mal die wichtigsten Dinge. Zu unserer Haltung möchte ich noch sagen, dass wir nie etwas über die Köpfe der Frauen* hinweg machen. Alles, was wir tun, ist mit den Frauen* abgesprochen. Wenn wir etwas für notwendig halten, dann besprechen wir das mit ihr. Ansonsten liegt alles wirklich in der Hand der Frau*.
Jah: Gibt es eine Zunahme an Gewalt gegen Frauen* aufgrund ihre sexuellen Orientierung oder Transfeindlichkeit?
Picozzi: Es ist auf jeden Fall ein Thema, deshalb heißen wir ausnahmslos alle Menschen, die sich als Frauen* identifizieren, hier willkommen. Unsere Absprache ist: Wenn es Themen sind, die uns betreffen, dann beraten wir alle gleichermaßen. Wenn es Themen sind, die mehr Wissen und eine speziellere Beratung zu queerfeindlichen Themen erfordern, dann verweisen wir weiter. Damit wir sicher sein können, dass das gut aufgefangen wird.
Jah: Welche Ressourcen mobilisieren die Frauen um sich zu empowern?
Picozzi: Oft ist es der Blick auf sich selbst und diese Erkenntnis: Jetzt reicht's! Und da hilft wirklich das Wissen um die eigenen Rechte und um Unterstützungsangebote. Wenn es gelingt, sich von der Scham, die Gewalt oft begleitet, zu befreien, kann auch das soziale Umfeld eine enorme Ressource sein. Nahe Bezugspersonen*, Freund*innen und/oder Verwandte reagieren meist empowernd und unterstützend.
Jah: Vielen Dank für dieses wirklich spannende Interview und die Beantwortung der Fragen.
Picozzi: Sehr gerne. Ich hoffe ich konnte alle Fragen verständlich beantworten.